Nachdem das Patronenstellwerk der VES nicht zum Einsatz kam, ging die Entwicklung für das rein elektrische Kraftstellwerk bei den VES weiter. Neben den VES widmete sich jetzt die Firma Pintsch als zweite Signalbaufirma diesem Gebiet. Pintsch hatte früher vor allem Beleuchtungsanlagen für Reisezugwagen und Seezeichen, aber auch selbsttätige Warnlichtanlagen für Wegübergänge geliefert und besaß damals Werke am Schlesischen Bahnhof in Berlin und in Fürstenwalde. Die Firma Orenstein & Koppel (O&K) hatte bereits mit der Entwicklung eines Gleisbildstellwerks begonnen, eine erste Anlage für die Niederbarnimer Eisenbahn sollte auf deren Bahnhof Basdorf gebaut werden. Der die Entwicklung vorantreibende Ingenieur wechselte jedoch 1939 von O&K zu Pintsch. 1941 übernahm Pintsch dann den gesamten Signalbau der Firma Maschinenbau und Bahnbedarf AG (MBA), die bis 1940 noch O&K hieß und dann „arisiert“ worden war.
In Zusammenarbeit mit der Deutschen Reichsbahn sollten je eine Versuchsanlage auf kleineren Bahnhöfen im Raum Berlin errichtet werden, und zwar das K44-Pintsch in Hermsdorf und das K44-VES in Birkenwerder. Diese Bahnhöfe liegen im Norden bzw. nördlich Berlins an der Nordbahn (Karte) Berlin—Neustrelitz—Stralsund.
Lageplan, etwa 1946 Zum Lageplan 1962
Lageplan, etwa 1946 Zum Lageplan 1962
Beide Stellwerke sollten erstmalig Drehstromweichenantriebe sowie einen Bedientisch erhalten, auf dem Gleise, Weichen und Signale lageplangerecht dargestellt werden und auf dem alle Bedienelemente und die zugehörigen Rückmeldelampen im Gleisplan an der Stelle angeordnet sind, die dem Standort des zu steuernden Elements in der Realität entspricht. Letzteres erfordert die vollständige Realisierung aller Abhängigkeiten durch elektrische Schaltungen (Relais), da der bisher gebräuchliche rein mechanische Verschluß der Bedieneinrichtungen für Weichen, Signale usw. mittels Verschlußschieber praktisch nicht mehr möglich ist, weil er die Anordnung der Bedienelemente in Reihen erzwingt. Für die neue Bauart wurde die Bezeichnung K44 gewählt, was für Kraftstellwerk Entwicklungsjahr 1944 steht. Die Arbeiten hierzu begannen wie oben beschrieben jedoch schon früher, weshalb K44 recht willkürlich scheint.
Zum K44-Pintsch ließ sich bisher leider nichts weiter auftreiben als eine hierzu 1943 unter Federführung des damaligen Dezernenten für Sicherungstechnik der RBD Berlin Dr.Ing. Gläsel entstandene Denkschrift, die hier nachgelesen werden kann. Inwieweit diese Beschreibung tatsächlich dem K44-Pintsch entspricht, ist bisher nicht geklärt. Außerdem gibt es einen interessanten, ebenfalls von Gläsel stammenden Text, in dem dieser Anfang 1945 um die sichere Aufbewahrung der Entwurfsunterlagen zum nun Gleisbildstellwerk genannten Stellwerk bis nach Kriegsende bittet. Da diese selbst bisher nicht bekannt sind, bleibt die genaue Ausführung des K44-Pintsch trotz Denkschrift unklar.
Die später tatsächlich bei beiden deutschen Bahnverwaltungen ausgeführten Gleisbildstellwerke wiesen hinsichtlich der Bedienung und Ausleuchtung einige Änderungen gegenüber dem hier Beschriebenen auf. Dies betraf vor allem die Darstellung der Weichen und Fahrstraßen. Das in der Denkschrift beschriebene Prinzip mit heller Ausleuchtung aller freien Weichen und Gleise entspricht dem der Gleistafeln, die damals bei vielen Stellwerken im Berliner Raum zu finden waren. Bei besetztem Gleis- oder Weichenabschnitt verlischt die Ausleuchtung, was zur sicheren Seite geht, da der Wärter auch bei einem wegen durchgebrannter Lampen verloschenem Abschnitt vom Besetztzustand auszugehen hatte. Dieses Prinzip hatte aber zur Folge, daß eingestellte Fahrstraßen nicht ohne weiteres darstellbar waren, weshalb beim K44-Pintsch leuchtende Start- und Zieltasten vorgesehen waren, was aber bei mehreren gleichzeitig eingestellten Fahrstraßen schnell unübersichtlich werden dürfte. Im Zusammenhang mit dem Projekt Stadtfernbahn Berlin hatte man erwogen, eingestellte Fahrstraßen auf der Gleistafel andersfarbig darzustellen. In einer 1941 herausgegebenen Richtlinie für Fahrschautafeln, wie die Gleistafeln künftig heißen sollten, wurde dann festgelegt, daß freie Gleis- und Weichenabschnitte grün, Abschnitte in der eingestellten Fahrstraße gelb und besetzte Abschnitte rot ausgeleuchtet werden. Die Stellung der Weiche sollte durch leuchtenden Schenkel angezeigt werden, wobei der nicht befahrbare Schenkel etwas schwächer oder gar nicht leuchten sollte. Auch die Darstellung des Streckenblocks mithilfe leuchtender Pfeile war vorgesehen. Hauptsignale sollten wie bei den Gleistafeln mit vollständigem Begriff dargestellt werden, Vorsignale jedoch gar nicht mehr.
Nach dem Krieg wurde dagegen die Stellung der Weichen durch ihren gelb leuchtenden Schenkel angezeigt, der sich bei besetztem Weichenabschnitt in Rot verwandelt. Während der Umstellung einer Weiche blinkt der Schenkel, der der neuen Stellung entspricht, solange, bis die Weiche diese Stellung erreicht hat und in dieser überwacht ist. Die aufgefahrene (aufgeschnittene) Weiche wird durch Blinken beider Schenkel angezeigt. Auffahren meint das Befahren der Weiche vom Herzstück her, obwohl die Weiche in der anderen als der zu befahrenden Lage liegt. Auch der besetzte Gleisabschnitt wird rot ausgeleuchtet. Wenn er frei ist, bleibt er jedoch ohne eingestellte Fahrstraße dunkel. Eingestellte Fahrstraßen werden, wie bereits 1941 vorgesehen, durch gelbe Ausleuchtung der betreffenden Gleis- und Weichenabschnitte dargestellt. Bei den Signalen werden nur noch Halt, Fahrt, Rangier- und Ersatzsignal dargestellt, nicht mehr der vollständige Fahrtbegriff. Das beim K44-Pintsch bereits vorgesehene Prinzip der Zweitastenbedienung findet sich auch nach dem Krieg wieder. Weichen werden, wenn sie von Hand umgestellt werden sollen, in Verbindung mit der Weichengruppentaste umgestellt, so wie es bereits im Nachtrag zur Denkschrift vorgesehen war. Die dort beschriebenen Lichtzeiger wurden jedoch nicht übernommen. Für die Gruppentasten wurden andere Bezeichnungen gewählt und zum Teil getrennte Tasten für verschiedene Funktionen vorgesehen (Pintsch – nach 1945): Fahrtsignal – Signalfahrttaste, Widerruf – Fahrstraßenauflösung bzw. Signalhalttaste, Not-Rücknahme – Signalhalttaste bzw. Fahrstraßenhilfsauflösung. Die Signale gelangen jetzt meist bei Einstellung der Fahrstraße in die Fahrtstellung und müssen nicht gesondert bedient werden. Beim Umleitbetrieb wurde nicht mehr nach Durchfahrt, das heißt Verhinderung der zugbewirkten Fahrstraßenauflösung, und selbsttätigem Betrieb, das heißt selbsttätiger Signalfahrtstellung, unterschieden. Stattdessen kamen beim letztlich Selbststellbetrieb genannten Verfahren die Signale entweder sofort nach Räumung des folgenden Bahnhofs- bzw. Blockabschnittes oder erst beim Befahren eines bestimmten Annäherungsabschnittes wieder in die Fahrtstellung. Letzteres hat den Vorteil, daß der Fahrdienstleiter die bis zur Annäherung noch nicht festgelegte Fahrstraße noch ohne zählpflichtige Hilfsbedienung zurücknehmen kann. Auch bei eingeschaltetem Selbststellbetrieb löst die Fahrstraße nach jeder Zugfahrt auf und wird selbsttätig neu eingestellt, wodurch sich eventuell zwischenzeitlich eingetretene Fehler bemerkbar machen. Im Gegensatz zum K44 laufen die Schutzweichen bei vorhandenem Weichenselbstlauf bei der Fahrstraßeneinstellung in der Regel mit um.
Trotzdem entspricht damit das K44-Pintsch, bei dem von Anfang an ausschließlich Tastenbedienung vorgesehen war, hinsichtlich der Bedienung sehr viel mehr den späteren Bauarten als das K44-VES mit seinen Hebeln und Kippschaltern. Dessen Schwenkhebel sollen allerdings Wunsch des Reichsverkehrsministeriums (RVM) gewesen sein. Die Gründe dafür sind nicht bekannt, Anhaltspunkte finden sich aber in der Denkschrift. Inwieweit die späteren Bauarten beider Bahnverwaltungen Anleihen beim K44-Pintsch nahmen oder ob diese von dieser Denkschrift unbeeinflußt entstanden sind, ist nicht bekannt.
Schaltungstechnisch sollte das K44-Pintsch ursprünglich mit Zweiphasenmotorrelais aufgebaut werden. Außer den herkömmlichen Zwei- und Dreilagenrelais sollten hier auch Zweilagenmotorrelais mit Speicherfunktion verwendet werden. Ein solches Relais wäre durch Motorkraft in die eine oder andere Endlage bewegt worden und hätte diese solange beibehalten bis wieder beide Betriebsspannungen mit dem richtigen Drehsinn angelegt werden. Die Relais sollten je nach Ausführung bis zu sechzig Kontakte haben. Es wäre interessant, zu wissen wie hiermit z.B. Weichen- oder Fahrstraßenschaltungen aufgebaut werden sollten. Ob die Wahl eines Motorrelais als Relais für die Stellwerksschaltungen besonders glücklich ist, darf bezweifelt werden. Der Fertigungsaufwand ist verglichen mit einfachen Relais beträchtlich, Platzbedarf und Energieverbrauch liegen ebenfalls höher. Bei Kontakten, die mit höherer Stromstärke oder mit einer Induktivität belastet sind, wird wegen der durch den motorischen Antrieb bedingten, relativ langsamen Schaltvorgänge der Abbrand beim Öffnen zunehmen. Die DR soll jedoch später verfügt haben, daß auch beim Pintschstellwerk K44-Relais der VES-Bauart zu verwenden sind. Damit wurde dann aber das Schaltungskonzept hinfällig.
Wie weit der Aufbau des Stellwerkes in Hermsdorf tatsächlich gediehen war, ist nicht bekannt. Ebensowenig, was aus den o.g. Entwurfsunterlagen und aus dem Material für das Stellwerk wurde und wo genau das Stellwerk eingebaut werden sollte. Pintsch trat nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr im Stellwerkbau auf, sondern fertigt nur noch Sicherungsanlagen für Bahnübergänge. Lediglich in der späteren DDR wurden von der Firma Gaselan in Fürstenwalde einige Zweireihenhebelwerke gebaut, deren Bauart mit dem Pintsch-Zweireihenstellwerk weitgehend übereinstimmte. Bei dem Fürstenwalder Werk handelte es sich um das ehemalige Pintschwerk.
Beim K44 der Vereinigten Eisenbahnsignalwerke baute man auf dem Patronenstellwerk auf. Von diesem übernahm man das Prinzip der im Gleisplan angeordneten Stellhebel, gestaltete diese aber so, daß sie sich optisch besser in das Gleisbild integrieren ließen, wofür die Größe der Hebel weiter verringert worden war. Hebel und Schalter waren im Stelltisch in auswechselbaren Elementen gleicher Größe in einem Raster angeordnet, womit der Nachteil der Gleistafeln und des Patronenstellwerks, daß Änderungen an der Gleisanlage mit aufwendigen Änderungen oder dem Neubau der Gleistafel einhergingen, beseitigt war. Für Weichen usw. wurden Drehhebel verwendet, für Fahrstraßen Kippschalter. Die Weichenschalter wurden vermutlich ebenso wie beim Patronenstellwerk bei festgelegter Fahrstraße in der der Weichenstellung entsprechenden Lage magnetisch festgehalten. Wegen ihrer Größe hatten die Tischfelder 40 x 120 mm Größe, denn bei doppelten Kreuzungsweichen, die zwei Hebel benötigen, waren beide Systeme unterzubringen. Zur Einstellung einer Fahrstraße wurden die entsprechenden Start- und Zielschalter umgelegt, wodurch die benötigten Weichenhebel selbsttätig angesteuert und fixiert wurden. Anstelle der beim Patronenstellwerk vorgesehenen Weichen- und Fahrstraßenachsen waren jetzt ausschließlich Relais für die Herstellung aller Funktionen und Abhängigkeiten vorgesehen. Ursprünglich sollte das Stellwerk Birkenwerder noch im Sommer 1944 in Betrieb gehen. Dann sollte wenigstens der Stelltisch zunächst noch im Jahre 1944 fertiggestellt werden, dann zum Februar 1945. Die Stellwerkskomponenten sollten dann zum 15. März 1945 geliefert werden, die Montage der Anlage in Birkenwerder bei frostfreiem Wetter sofort beginnen. Die Inbetriebnahme war zuletzt für den 1. Juni 1945 vorgesehen. Bekanntlich ging vorher der Zweite Weltkrieg zu Ende, wodurch das Projekt endgültig zum Erliegen kam.
Stelltisch für Birkenwerder
Tisch-, Element- und Relaisfotos: Siemens Verkehrstechnik
Tischelemente für den Stelltisch Birkenwerder
Auch beim K44-VES ist nicht bekannt wie weit die Anlage in Birkenwerder bis Kriegsende tatsächlich noch fertiggestellt werden konnte, ebensowenig ob die Anlage in einem der vorhandenen Stellwerkgebäude oder in einem Neubau untergebracht werden sollte. Der Stelltisch und ein Teil der Relaisanlage wurden gegen Kriegsende nach Georgsmarienhütte in der Nähe Osnabrücks gebracht, wo die VES zu dieser Zeit noch einen Standort unterhielten. Der Tisch sollte aus Zeitgründen ursprünglich für das erste K44 bei der späteren DB verwendet werden. Weil aber noch die Schaltungen überarbeitet werden sollten, nahm man dann jedoch davon Abstand und nutzte die Zeit, um auch die Gleisbildelemente zu überarbeiten. Auf die Weichenhebel und Kippschalter wurde verzichtet, stattdessen wurden Tasten verwendet.
K44-Relais wurden nach dem Krieg in einigen wenigen elektromechanischen Stellwerken im Berliner Raum verwendet, als diese Hl-Lichtsignale anstelle der Formsignale bekamen. Auf welchem Wege diese Relais zur Reichsbahn kamen ist nicht bekannt. Bei den ersten Gleisbildstellwerken der DB, deren Typenbezeichnung dann nicht K44 sondern Dr I war, wurden ebenfalls noch K44-Relais verwendet. Die später folgenden Bauarten hatten dann überwiegend, später ausschließlich K50-Relais, die wesentlich kleiner sind. Durch weitere Überarbeitung der Schaltungen kam man jetzt auch mit Relais mit weniger Kontakten aus, so daß der für die Relaisanlage benötigte Raum kleiner gehalten werden konnte.
Zum K44-Stellwerk der VES soll eine 108-seitige Beschreibung mit 58 Fotos und Schaltplänen existieren. Wer Kenntnis darüber hat, wo man diese Beschreibung einsehen kann oder gar selbst in deren Besitz ist, der schicke mir bitte eine Mail.